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Arbeit macht frei – oder auch nicht?

Brot backen
Brot backen

Ich möchte gern ressourcenschonend, tierliebend, naturverbunden – kurz „nachhaltig“ leben. Ich weiß, wie man kompostiert, Gemüse anbaut, Wäsche umweltschonend wäscht, wie man mit wenig Chemie putzt. Kann stopfen, nähen, Flecken entfernen. Auch weiß ich, dass man nicht jede etwas müffelnde Wäsche waschen muss, das Lüften manchmal reicht. Ich weiß, dass Kaffeesatz und Eierschalen perfekte Düngemittel sind und jeden Industriedünger toppen. Ich kann aus Essensresten, Fehlkäufen und wenigen Zutaten kreative Leckereien zubereiten. Ich kann aus wenig viel machen.

Doch im Alltag?

Der Alltag ist bestimmt von Eile. Schnell aufstehen, schnell Morgenseiten schreiben für die Reflexion, Rechner hochfahren, dabei Kaffeemaschine an. Erste Mails checken, Express-Yoga, zackig ein paar Sachen in den Blitzhacker für einen schnellen Rohkostsalat. Der Wäschekorb ist voll. Eilig stopfe ich so viel wie möglich in die Wäschetrommel. Lieber etwas mehr Waschpulver, damit es sauber wird. Weichspüler für den guten Duft, der auch noch dann in der Wäsche steckt, wenn mir erst am nächsten Tag auffällt, das die nasse Wäsche noch in der Maschine steckt. Laptop zu, zackig mit dem Auto ins Büro. Den Kaffee – vergessen zu trinken – habe ich nun im Thermobecher dabei. Beim Fahren die Eltern anrufen – alles in Ordnung? Natürlich nicht. Alles schwierig – ich soll vorbeikommen. Ich sage meinen Besuch auf dem Rückweg zu. Wahrscheinlich gegen 17.00/ 17.30 höre ich mich sagen. Schon vor dem Auflegen weiß ich, es wird 18.00 Uhr.

Ich bin wieder mal zu spät losgefahren – schreibe meinem Chef – ETA 9.04. 9.00 Uhr sollte die Besprechung beginnen. Angesetzt auf 3 Stunden, meistens werden es 4, Pausen lassen wir weg, damit es nicht noch länger dauert. Zwischendurch der Blick aufs Handy. 3 Anrufe von Papa. Was er jetzt wohl wieder hat? Scheint dringend zu sein. Ich verlasse kurz den Besprechungsraum, rufe zurück. Er wollte mir nur kurz erzählen, dass… Puh. Zum Glück nichts Schlimmes. Während der Besprechung – inzwischen gehört der aufgeklappte Laptop zum Standard – versuche ich, bereits mein nächstes Meeting vorzubereiten und wichtige Aufträge weiterzuleiten. Inzwischen ist es 13.00 Uhr. Ich schiebe mir den Blitz-Rohkostsalat zwischen die Zähne, checke mein Postfach nach übersehenen Terminsachen. So geht es weiter. Mein Feierabend um 16.30 schiebt sich auf 17.30. Ich düse los. Pause, Mittagsspaziergang? Fehlanzeige! Kinder und Mann anrufen – es wird heute später. Eltern informieren, dass ich nur kurz vorbei kommen kann. Während der Fahrt in Gedanken die Vorräte checken. Mist, ich muss einkaufen. Völlig erledigt komme ich mit Einkaufsbeuteln voller unsinniger Einkäufe zuhause an. Das Küchenchaos beseitige ich noch in Schuhen und Jacke. Eigentlich muss ich schon lange aufs Klo. Als das Essen fertig ist und alle am Tisch sitzen gehe ich endlich auf die Toilette.

Kurz vor 21.00 – Küche aufräumen, Post und private Mails checken. Meinem Anspruch gerecht werden und irgendwas kluges Lesen. Mist, die Wäsche ist noch in der Maschine – nicht mehr heute…

Der Kaffeesatz landet im Müll, die Eierschalen sowieso. Übrig gebliebene Lebensmittel der Vortage? Einfach vergessen im Kühlschrank – landen ebenfalls im Müll. Die Tomatenpflanzen krepeln vor sich hin. Drei Tage vergessen zu gießen, düngen Fehlanzeige, nicht mal mit dem schnellen Industriedünger. Einmal genutzte Wäsche in die Trommel geht schneller, als mal eben einen Fleck rausreiben. Undsoweiterundsofort.

 

Ihr versteht, was ich meine! Getoppt wird das ganze durch teure Restaurantbesuche und Wellnessstunden, um endlich mal raus- und runterzukommen.

 

Was für ein Irrsinn!

 

Wir rackern uns ab, um uns Dinge zu leisten, die wir nicht brauchen würden, wenn wir mehr Zeit hätten, um uns mit dem zu befassen, was wir bereits haben.

Jetzt, wo ich raus bin aus der Tretmühle (anders kann ich das nicht nennen), gelingen mir die Dinge ganz leicht. Meine Pflanzen gedeihen, der Kaffeesatz und die Eierschalen landen gut getrocknet und präpariert in Beeten und Töpfen. Ich habe meine Waschnüsse für die Wäsche wieder im Einsatz, ich habe mir aus wenigen Zutaten (Essig, Teebaumöl, Orangenöl und Wasser) meinen umweltschonenden Weichspüler hergestellt. Ich putze mit Natron und Zitronensäure statt mit scharfen Reinigern. Alle Lebensmittel werden verwendet. Ich backe Brot, koche mit frischem, regionalem Gemüse. Ich brauche keine Atemübungen mehr und auch viel, viel weniger Geld. Und das verrückte ist: Ich bin beschäftigt! Ja, den ganzen Tag! Mit sinnvollen Tätigkeiten! Und ich bin zufrieden, auf gesunde Weise müde vom Tun, nicht „tot“ vor Erschöpfung.

Macht Arbeit frei? Ich stelle fest, wir brauchen eine neue Definition von Arbeit. Als Arbeit sollten die Dinge bezeichnet werden, die wir Menschen tun, um ein erfüllendes Leben zu führen. Das kann die Konstruktion einer tollen Maschine, das bauen eines Hauses, das Schreiben eines Buches sein. Genauso kann es jedoch auch das Gärtnern, Waschen und Kochen sein.

Natürlich brauchen wir auch Straßenbau, Steuerberatung und Krankenschwestern. Vielleicht wären wir alle glücklicher und zufriedener, wenn wir mit Lust und Elan 2-3 Tage, einer bezahlten Arbeit nachgehen und den Rest der Tage Zeit hätten, für all die anderen Arbeiten? Vielleicht würden wir mit viel mehr Elan an 2-3 Tagen mehr schaffen, als an 5 Tagen?

All dies funktioniert jedoch nur, wenn wir Menschen wieder einen Sinn für Gemeinschaft und gemeinsame Verantwortung für uns als Gesellschaft, für die Erde und alle Lebewesen entwickeln.

 

 

Ich möchte an eine solche Zukunft glauben.

Himbeere - Geschenk der Natur
Himbeere - Geschenk der Natur

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